Unerschütterliche Eleganz
Eine Ausstellung in London setzt Canalettos Werk in Kontext zu seinen Vorläufern, Nachfolgern und Rivalen. Die Werke zeigen Regatten, Feste und Zeremonien der «schwimmenden Stadt», vor allem aber ihre Architektur, vor deren Grösse und Pracht die Menschen nur fingernagelgross erscheinen.
Von Marion Löhndorf
In den Gemälden des jungen Canaletto (1697 bis 1768) ist der Himmel noch nicht so blank geputzt, die Stadtlandschaft noch nicht so aufgeräumt wie in seinen späteren Meisterwerken. Das war nicht etwa dem Zufall geschuldet oder seinem persönlichen Geschmack, sondern vor allem der Nachfrage. Canalettos Kunden bevorzugten den strahlenden Sommerhimmel einer postkartenschönen Stadt. Seine Kunden, das waren vor allem vornehme oder reiche englische Reisende, denen die Grand Tour durchs südliche Europa den letzten Schliff an
klassischer Bildung und Geschmack geben sollte. Komplettiert wurden diese Bildungsreisen, die oft Monate, manchmal Jahre dauerten, durch die passenden Souvenirs. Venezianische Stadtansichten aus den Werkstätten ortsansässiger Meister gehörten als eine Art luxuriöser Vorläufer der Ansichtskarte zu den beliebtesten und prestigeträchtigsten Erinnerungsstücken. Und damit sie ins Gepäck der jungen Herrschaften passten oder versendet werden konnten, fertigte Canaletto, dem es ein Leichtes war, zwischen den Formaten zu wechseln, seine Bilder auf Bestellung gern in handlichen Grössen an.
Caspar van Wittel-Vanvitello, Il Molo seen from the Bacino
Markt für Vedutenmalerei
Dafür, dass dessen Meisterschaft nicht nur im Verborgenen blühte, sorgte Joseph Smith, der britische Konsul in Venedig: Smith, ein Kunstkenner, Sammler und Verehrer Canalettos, wirkte zugleich auch als sein Agent. Er besass die besten Verbindungen und sorgte dafür, dass die Werke des Malers bekannt – und gekauft – wurden. Noch heute hängen die schönsten Canalettos in englischen Herrenhäusern – und in der Royal Collection des
Buckingham Palace. Durch die Verbreitung von weniger kostspieligen Stichen brachte Smith das Geschäft seines Klienten zusätzlich in Schwung. Dass der Maler bereits in den 1730er Jahren eine personalstark besetzte Werkstatt einrichten konnte, gehörte zu den äusseren Zeichen seines Erfolgs. Erst rund zehn Jahre zuvor, in den frühen 1720er Jahren, sind seine ersten venezianischen Stadtansichten datiert. Schon um 1725 hatte der Maler und Berater für Kunstsammler Alessandro Marchesini ausgerufen: «Antonio Canale . . . versetzt in dieser Stadt alle in Staunen, die sein Werk sehen . . . man sieht die Sonne darin scheinen.»
Direkte Gegenüberstellungen
Dass der Canaletto genannte Giovanni Antonio Canal zwar für viele der hellste, aber nicht der einzige Stern der venezianischen Vedutenmalerei war, belegt einmal mehr eine Ausstellung in der National Gallery in London: Nicht zum ersten Mal wird Canaletto hier in Bezug zu anderen Malern gesetzt, die sich mit Venedig-Panoramen befassten. Doch die Londoner Ausstellung bezieht ihre Spannung aus der direkten Gegenüberstellung. Oft sind dieselben Ansichten, in denen sogar die Perspektiven übereinstimmen, nebeneinander zu sehen. So begab sich der junge Canaletto ganz bewusst in unmittelbare Konkurrenz zu seinem Vorläufer Luca Carlevarijs (1663-1730), der
neben Gaspare Vanvitelli (1652/53-1736) als einer der «Erfinder» der venezianischen Vedutenmalerei galt, indem er dessen Kompositionen gelegentlich nicht nur übernahm, sondern zu übertreffen versuchte: Canalettos «Empfang des französischen Gesandten Jacques-Vincent Languet, Comte der Gergy, im Dogenpalast, 4. November 1726» (um 1727) steht in direkter Korrespondenz mit Carlevarijs’ «Empfang des britischen Gesandten Charles Montagu, 4. Earl of Manchester, im Dogenpalast, 22. September 1707» (um 1707/08).
Carlevarijs, Empfang des britischen Gesandten Charles Montagu, 4. Earl of Manchester, im Dogenpalast, 22. September 1707
Canaletto, Empfang des französischen Gesandten Jacques-Vincent Languet, Comte der Gergy, im Dogenpalast, 4. November 1726
Canaletto nimmt dem Carlevarijs nachempfundenen Szenario den feinen grauen Nebel der Melancholie, frischt die Farben auf und dramatisiert Licht- und Schatteneffekte. Seine Figuren bewegen sich teilweise in farblich voneinander abgesetzten Gruppen, animiert und vielfältig. Carlevarijs hingegen griff für die Menschen in seinen Stadtpanoramen auf ein Skizzenbuch zurück und brachte bestimmte Figuren gern auch mehrfach in unterschiedlichen Gemälden zum Einsatz. Sein Verfahren, Bestandteile der Menge aus einem Musterbuch zusammenzustellen, verlieh seinen Figuren eine Tendenz zur Starrheit, was – im Vergleich zu Canaletto – zu einem Mangel an Atmosphäre führte.
Traumkulisse
Auch Canalettos Neffe, Bernardo Bellotto (1722 bis 1780), der den Stil seines Onkels und Lehrmeisters zu Beginn seiner erfolgreichen Karriere geschickt zu imitieren verstand, war Canaletto bei der Darstellung von Figuren unterlegen, wie sich im direkten Vergleich zeigt. Selbst die Hunde wirken in Bellottos Gemälden im Gegensatz zu denen des Onkels fast ungelenk: auch wenn sie oft weniger als fingernagelgross – also winzig klein – auf den Ansichten zu sehen sind, auf denen die Architektur das bestimmende Element bildet. Die jeweilige Gegenüber-
stellung der Werke lädt zur Bewertung ein, lenkt aber auch den vergleichenden Blick auf Details und besondere Eigenheiten der Maler: die kräftigeren, schwärzeren Schatten, die Bellotto verwendete, das kühlere Blau seines Himmels, die eher kursorische Wiedergabe des Wassers, die Vorliebe für grössere Formate. – Einer der bedeutendsten Konkurrenten Canalettos war Michele Marieschi (1710-1743), der in kurzer Zeit ein umfangreiches Werk schuf: ein temperamentvoller Maler, von dem man annahm, dass er ohne Vorzeichnungen direkt auf der Leinwand komponierte, grosse Bereiche seiner Gemälde noch während der Arbeit veränderte und relativ schnell malte. Im Gegensatz zu Canaletto bevorzugte er überraschende Kompositionen, die unerwartete Grade der Verzerrung einbeziehen. Lange währte der Wettbewerb zwischen Canaletto und Marieschi nicht; Marieschi starb kurz nach seinem 32. Geburtstag.
Michele Marieschi, Rialto-Brücke vom Riva del vin gesehen
Atmosphärische Dichte
Der Figurenmaler Francesco Guardi (1712 bis 1793) fand erst spät, um 1758, zur Vedutenmalerei. Sein eindrucksvolles Werk – das unter genauer Kenntnis desjenigen Canalettos entstand, ohne ihn stilistisch je zu kopieren – markiert ein letztes glanzvolles Schlusskapitel der Blütezeit des Genres: Der Markt der kaufkräftigen aristokratischen Touristen war bereits weitgehend erschöpft, als Guardi den Höhepunkt seines Schaffens erreichte. Guardi war nicht wie Canaletto an Präzision interessiert und an dessen majestätisch-klarer, optimistischer Sicht
einer Welt von unerschütterlicher Eleganz, einer Welt, die in Ordnung ist. Guardis Venedig-Ansichten zeichnen sich weniger durch Akkuratesse als durch atmosphärische Dichte aus. Sein nervöser Pinselstrich, der seine Gebäude leicht erzittern zu lassen scheint, weist schon voraus auf die romantische Sensibilität des 19. Jahrhunderts. Guardis Werke erinnern an Rilke und Thomas Mann, die in der Stadt eine theatralische, fast unwirkliche Traumkulisse sahen. Canalettos Venedig als in gleissendes Licht getauchte Stätte der Perfektion und Schönheit war bei Guardi schon zum Ort der Vergänglichkeit geworden.
Francesco Guardi, Szene in der Lagune
Venice:
Canaletto and His Rivals. National Gallery, London. Bis 16. Januar
2011. Katalog (Yale University Press, London) £ 35.-
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