Horizont zwischen Turm und Windmühle
Landschaftsradierungen von Rembrandt im Städel-Museum Frankfurt
Rembrandt widmete seine Malerei dem Porträt und der Historie; die Landschaft spielt darin nur eine kleine Rolle. In der Druckgrafik aber war diese für ihn ein Feld des Experimentierens und der Reflexion. Eine erlesene Schau in Frankfurt zeigt Werke aus der eigenen Sammlung.
Landschaftsradierungen von Rembrandt im Städel-Museum Frankfurt
Rembrandt widmete seine Malerei dem Porträt und der Historie; die Landschaft spielt darin nur eine kleine Rolle. In der Druckgrafik aber war diese für ihn ein Feld des Experimentierens und der Reflexion. Eine erlesene Schau in Frankfurt zeigt Werke aus der eigenen Sammlung.
von Maria Becker
Eine Anekdote aus dem 18. Jahrhundert überliefert, dass Rembrandt (1606-1669) zu Gast auf dem Landgut seines Freundes Jan Six gewesen sei und mit diesem eine Wette abgeschlossen habe: Er werde den Blick aus dessen Haus in genau der Zeit auf die Platte zeichnen, die ein Diener zum Herbeiholen des fehlenden Senfs benötige. Das nächste Dorf war nah. Natürlich soll der Künstler die Wette gewonnen haben, zumal er stets präparierte Kupferplatten bei sich getragen und sich unverzüglich ans Werk gemacht habe.
Die Brücke des Jan Six, 1645
Die Geschichte ist erfunden, und auch für die Annahme, dass Rembrandt direkt vor dem Motiv radiert habe, gibt es keinen Beweis. Man weiss, dass er Skizzen vor Ort machte und seine Radierungen nach diesen im Atelier komponierte, wo die präparierten Platten wohl bereitlagen. Auch die Bezeichnung der Landschaft stimmt nicht. «Die Brücke des Jan Six», 1645 entstanden, zeigt einen Ausblick in der Nähe von Amsterdam; das Landgut von Rembrandts Freund lag anderswo. Doch die virtuos skizzierte Landschaft, in deren Mitte zwei Männer am Geländer einer Holzbrücke lehnen, ist ein Meisterstück atmosphärischer Luftigkeit und Nähe. Das helle Licht eines Sommertages ist darin ebenso eingefangen wie die Kontemplation vor dem weiten Horizont.
Die Geschichte ist erfunden, und auch für die Annahme, dass Rembrandt direkt vor dem Motiv radiert habe, gibt es keinen Beweis. Man weiss, dass er Skizzen vor Ort machte und seine Radierungen nach diesen im Atelier komponierte, wo die präparierten Platten wohl bereitlagen. Auch die Bezeichnung der Landschaft stimmt nicht. «Die Brücke des Jan Six», 1645 entstanden, zeigt einen Ausblick in der Nähe von Amsterdam; das Landgut von Rembrandts Freund lag anderswo. Doch die virtuos skizzierte Landschaft, in deren Mitte zwei Männer am Geländer einer Holzbrücke lehnen, ist ein Meisterstück atmosphärischer Luftigkeit und Nähe. Das helle Licht eines Sommertages ist darin ebenso eingefangen wie die Kontemplation vor dem weiten Horizont.
Naturbeobachtung und Erfindung
Dass man Rembrandt im 18. Jahrhundert gern zum Pleinair-Radierer gemacht hätte, lag an der hohen Wertschätzung der mit wenigen Strichen treffsicher hingeworfenen Skizze. Tatsächlich ist die «Brücke des Jan Six» das Beispiel einer sehr offenen radierten Zeichnung, wie sie unmittelbar «naert leven» entstanden sein könnte. Die perfekt kalkulierte Komposition zeigt aber, dass Rembrandt das Motiv erst in der Werkstatt zu einem Ganzen gemacht und eventuell sogar verschiedene Ansichten darin zusammengefügt hat. Naturbeobachtung und Erfindung gehen hier zusammen und schaffen erst die Wahrheit der künstlerischen Schöpfung. - Der Maler ging für seine Studien hinaus in die Umgebung von Amsterdam, erkundete Wege, Wiesen und Kanäle, trug Bauernhütten, Heuschober, Windmühlen und die Silhouette der Stadt in sein Skizzenbuch ein. Die Topografie und markante Details sind meist erkennbar und beweisen die Treue seiner Beobachtung.
Besonders in den Jahren nach 1640 und um 1650 schuf Rembrandt radierte Landschaften, und vielleicht war die Kontemplation auch für ihn selbst ein Motiv, sich der Naturbeobachtung zu widmen. Er hat diese Blätter kaum vermarktet und nur wenige Abzüge gemacht. Die Landschaft scheint für Rembrandt eine Gattung gewesen zu sein, die ihm die Freiheit gab, vor allem seiner künstlerischen Neugier nachzugehen und Renommee und Gewinn einmal ausser acht zu lassen. - Die Ausstellung im Städel-Museum ist eine Kabinettschau, und sie ist kostbar und kenntnisreich wie eine Kunstkammer des Goldenen Zeitalters. 62 Radierungen sind zu sehen, davon 46 von Rembrandt. Alle Blätter kommen aus dem Bestand des Hauses und sind von Martin Sonnabend, dem Kurator und Leiter der älteren Grafischen Sammlung, präsentiert. Saaltexte erschliessen die unterschiedlichen Darstellungsformen, von der Hintergrundlandschaft biblischer Erzählungen bis zum topografischen Panorama. Rembrandts Zeitgenossen wie Goltzius, Brueghel, Van der Velde, Seghers und Ruisdael hängen in einem eigenen Raum zum Vergleich und machen die Qualitäten des Meisters umso sichtbarer.
Landschaft mit Straße und Wassergraben um 1652
Rembrandt war der bedeutendste Druckgrafiker seiner Epoche. Keiner der Zeitgenossen kommt seiner technischen Brillanz und Vielfalt, seiner Experimentierfreude und darstellerischen Vergegenwärtigung gleich. Der Reichtum der Schattenzonen und Lichtreflexe, die Grosszügigkeit der linearen Abbreviaturen kann man in den Landschaften bestens studieren. Selbstverständlich beherrscht er auch das Repertoire symbolischer Staffage wie Hirten, Liebespaare und Bauernschenken und spielt virtuos mit Blickachsen, Raum und pittoresken Details. Doch selbst wenn man all dies ins Auge fasst und zu schätzen sucht, bleibt ein Rätsel um das, was Rembrandts Qualität eigentlich ausmacht. Wie in seiner Malerei ist etwas da, was sofort spürbar und dennoch schwer zu fassen ist.
Atmosphärische Wahrheit
Es scheint etwas mit atmosphärischer Wahrheit zu tun zu haben. Rembrandt komponierte seine Landschaften, fügte Topografisches zusammen, rückte Details nach vorn oder hinten und liess manches, was reell vorhanden war, ganz weg. Dennoch ist immer der ganze Eindruck da, und zwar so unmittelbar, dass die Zeit gegenwärtig wird. Ein Heuschober oder eine Bauernkate, eine Windmühle oder eine Baumgruppe gewinnen bei ihm überwirkliche Präsenz. Der Blick des Betrachters geht oft von dem Ort aus, wo der zeichnende Künstler stand: Er wird von ihm zwischen Nähe und Ferne hin- und hergeführt, von der bergenden Wärme der Bauernschenke zum allgegenwärtigen Horizont der holländischen Landschaft.
Das Landgut des Goldwägers 1651
«Das Landgut des Goldwägers» heisst eine späte Panoramalandschaft von 1651. Auch hier ist die Bezeichnung nicht richtig, das dargestellte Anwesen gehörte einem von Rembrandts Gläubigern; die Radierung entstand wenige Jahre vor dem Bankrott des Künstlers. Das extreme Querformat führt den Blick über gekurvte Linien zum Horizont; im Vordergrund wird Leinwand auf den Feldern gebleicht. Wem das stattliche Gebäude mit Turm und Park gehört, ist eigentlich nicht wichtig. Das Thema des Bildes ist die Erschliessung des Raumes. Rembrandts Blick ist der eines Forschers, der die Darstellung der Weite zum dominanten Motiv macht und dabei erstaunlich viel offen lässt. Der Horizont darf ins Unbestimmte führen.
«Das Landgut des Goldwägers» heisst eine späte Panoramalandschaft von 1651. Auch hier ist die Bezeichnung nicht richtig, das dargestellte Anwesen gehörte einem von Rembrandts Gläubigern; die Radierung entstand wenige Jahre vor dem Bankrott des Künstlers. Das extreme Querformat führt den Blick über gekurvte Linien zum Horizont; im Vordergrund wird Leinwand auf den Feldern gebleicht. Wem das stattliche Gebäude mit Turm und Park gehört, ist eigentlich nicht wichtig. Das Thema des Bildes ist die Erschliessung des Raumes. Rembrandts Blick ist der eines Forschers, der die Darstellung der Weite zum dominanten Motiv macht und dabei erstaunlich viel offen lässt. Der Horizont darf ins Unbestimmte führen.
Obwohl Genre-Motive wie der Bauer oder das Hirtenpaar in Rembrandts Landschaften selbstverständlich sind - keine ist im Grunde eine «Paysage moralisé», wie sie im 17. Jahrhundert üblich war. Auch artifizielle Perspektiven oder Raritäten wie besondere Bäume spielen bei ihm keine wesentliche Rolle. Was letztlich bleibt, ist eine Recherche der Wirklichkeit, die sich seinem Auge bot. Bei aller Virtuosität seiner Kunst liegt noch ein Staunen vor der Weite der Schöpfung darin, das sich auf den Betrachter überträgt und ihn auch sehen lässt.
Rembrandt. Städel-Museum Frankfurt. Bis 24. November 2013.
Nota. - Die allgemeine Rembrandt-Begeisterung habe ich nie verstanden; schon gar nicht, seit er stets mit Caravaggio verglichen wird. Der hat das chiaroscuro genutzt, um seinen Gegenständen plastische Gestalt und seinen Räumen Tiefe zu geben - und über allem als sein wichtigstes Mittel beim Bildaufbau eingesetzt. Er hat einen Stil daraus gemacht, den in ganz Europa blühte, nicht zuletzt im niederländischen Utrecht. Davon ist bei Rembrandt lediglich geblieben - die Rolle beim Bildaufbau. Seine Figuren sind meist so flächig wie bei seinen Zeitgenossen die Landschaften.
Ach so, ja - die Landschaften. Fast ist "holländische Malerei des Goldenen Zeitalters" synonym mit holländische Landschaftsmalerei. Aber dazu hat Rembrandt nichts Erwähnenswertes beigetragen.
Viel mehr gibts wohl gar nicht. Und vor allem: Es sind keine holländischen Landschaften. So wie etwa diese von Jacob van Ruisdael:
Haarlem with bleaching fields in the foreground, ca.1670
Weit und flach, wie Holland eben, ein Raum entsteht nur durch das Licht, denn an Linien dominiert... die Horizontale. Eine Perspektive entsteht nur in der Luft, und über allem - der Himmel. Die holländischen Himmel, die holländische Beleuchtung! Was den eben in ihrem Unabhängigkeitskrieg befangenen Niederländern an gemeinsamer Geschichte fehlte, um ihren Patriotismus zu entflammen, musste ihnen ihre Landschaft ersetzen. Und indem so die Landschaftsmalerei zu einer nationalen Sache wurde, wurde sie zugleich - zu einer ehrenwerten Gattung, die die gesamte abendländische Kunst revolutionieren sollte.
Zarte Andeutungen davon finden sich auf Rembrandts Graphiken, aber die Linie ist eben nicht das geeignete Medium für die Landschaft, jedenfalls nicht für diese. Und wo er die Landschaft in Farbe gesetzt hat, findet sich nichts davon.
Das hindert die Rezensentin nicht, auch bei diesem Sujet in Dithyramben auszubrechen.
*
Dieses geschrieben habend, beeile ich mich anzufügen, dass Rembrandt als Porträtist - vor allem als sein eigener und der von Titus - selbstverständlich der uneingeholte Meister ist.
JE
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