aus Die Presse, Wien, 28. 9. 2014
Eine Frage des Geschmacks
Süß,
sauer, salzig, bitter, umami - diese Geschmäcker nehmen wir im Mund
(und auch anderswo) wahr. Aber nicht alle nutzen die ganze Palette.
von Jürgen Langenbach
"Der Mensch ist, was er
isst.“ Mit keinem Diktum hat ein Philosoph so viel Spott auf sich
gezogen wie Ludwig Feuerbach mit dem. Dabei steckt politische
Sprengkraft darin, und anthropologische auch, der Philosoph stellte es
klar, als ihm das „Hohngelächter“ zu laut wurde: „Menschliche Kost ist
die Grundlage menschlicher Bildung und Gesinnung. Wollt ihr das Volk
bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere
Speisen!“ Das ging gegen die irdische Macht und den Segen des Himmels
bzw. der Kirche dazu, und ins Grundsätzliche wies die implizite
Umdrehung des Satzes: „Ist nicht selbst der Magen des gebildeten
Menschen ein anderer als der des rohen?“
Der Mensch isst also auch (nur), was er ist, jeder Gourmet, der seine
Bildung in der gehobenen Gastronomie eingelöffelt hat, kann es
bezeugen, in Wort und Tat, er rümpft rasch die Nase, und wenn ihm doch
etwas Widerwärtiges in den Schlund gerät, spuckt er es aus. Andere tun
es auch: 1931 rührte der Chemiker Artur Fox so heftig in einem Pulver
herum – Phenylthioharnstoff (PTH) –, dass einiges erst in die Luft
geriet und dann auf die Zungen. Ein Assistent beschwerte sich, das Zeug
sei gallebitter, Fox schmeckte nichts, seither weiß man, dass es bei PTH
bzw. Bitterem Taster und Non-Taster gibt. 1939 testete Ronald Fisher
Schimpansen darauf, er gab ihnen mit PTH versetztes Wasser zu trinken,
und genoss es sehr, als manche Probanden ihm das Gebräu ins Gesicht
spukten. Andere taten es nicht, Schimpansen geht es also wie Menschen,
sie reagieren individuell unterschiedlich. Warum und wozu? „Darüber zu
spekulieren, wo die selektiven Vorteile liegen, wäre zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nutzlos“, bedauerte Fisher in Nature (144, S.750).
Aber
dass es ganz unterschiedliche Geschmäcker gibt, hat sich so rasch nicht
herumgesprochen, lang ging man davon aus, dass quer durch das Tierreich
von Zungen und Gaumen das wahrgenommen wird, was wir wahrnehmen: süß,
sauer, salzig, bitter – und umami, 1908 in Japan entdeckt und benannt,
es klingt an herzhaft und köstlich an und meint den Fleischgeschmack von
Aminosäuren. Fünf Geschmacksrichtungen gibt es also, vielleicht auch
mehr, weniger hingegen nicht, so stand es in den Büchern. Doch dann
kamen, in den 1970er-Jahren, die Katzen: An ihnen bemerkte Gary
Beauchamp (Philadelphia), dass es völlig sinnlos ist, sie mit Zucker
verwöhnen zu wollen: Sie haben keinen Geschmack für Süßes. Später fand
Beauchamp bei anderen Jägern das Gleiche: Seelöwen und Hyänen etwa haben
die entsprechenden Gene stillgelegt – zu „Pseudogenen“ –, und sie haben
es mit unterschiedlichen Mutationen getan, das Süße-Sensorium also
unabhängig voneinander abgelegt (Pnas, 109, S.4956).
Verzicht auf
Überflüssiges.
Denn sie brauchen es nicht, sind nicht hinter Zucker
her, sondern hinter Fleisch oder Fisch. Diesen schlingen manche
unzerkaut hinab und konnten deshalb auf weitere Geschmacksrichtungen
verzichten, Delfine etwa auf umami und bitter. Vor allem Letzteres ist
rätselhaft, da viele Pflanzen und Beutetiere mit bitterem Geschmack vor
ihrem Verzehr warnen, sie haben Gifte eingelagert. Die müssen Delfine
auf anderen Wegen detektieren – man weiß nicht, auf welchen –, aber der
Verzicht auf Geschmack stellt ein noch viel härteres Problem: Die
gleichen Gemacksknospen, die Nahrung verkosten, sitzen auch anderswo im
Körper, im Darm etwa achten sie auf den Zuckergehalt der Nahrung – und
steuern den Zuckerhaushalt –, in den Nieren auf Salz, in der Lunge auf
Bitteres, im Rückenmark auf Saures, sogar in Hoden und Sperma gibt es
Sensoren für Bitteres und umami, die Gründe liegen im Dunkeln.
Klar
ist nur, dass auch Delfine im Körperinneren Süßes wahrnehmen können
müssen, und Pandas – die sich als einzige Bären auf Pflanzenkost
beschränken und keinerlei Interesse an umami haben – Fleischgemack. Das
gilt auch für Vampirfledermäuse, an denen Huabin Zhao (University of
Michigan) erst den Verzicht auf umami bemerkt hat (Genome Biology and
Evolution, 4, S.73) und nun auch den auf Bitteres: In Blut ist kein
Gift, es schmeckt süß (Proc. Roy. Soc. B, 281: 20141079).
Es sieht
also alles danach aus, dass die Palette der Geschmacksrichtungen
zunächst in aller Breite etabliert wurde und dann jedes Tier abgelegt
hat, was es nicht braucht. Analoges kennt man von Fischen, die in Höhlen
leben, sie wurden im Dunkeln blind, das ist bekannt, sie haben aber
auch, das ist neu, auf die innere Uhr („circadian clock“) verzichtet,
mit der alle anderen Tiere ihren Tagesrhythmus steuern bzw. an der Sonne
eichen, Damian Moore (Lund) hat es bemerkt: Die innere Uhr ist teuer,
Höhlenfische sparen ohne sie 30 Prozent Energie (PLoS One, 24. 9.).
Entbehrliches
wird entbehrt: „Die ganze Geschichte der Evolution des Geschmacks ist
eine des Verlusts von Geschmack“, fasst Kurt Schwenk (University of
Connecticut) zusammen (Nature 486, S17). Aber das ist nur die halbe
Wahrheit, man kann auch auf Geschmack kommen, Maude Baldwin (Harvard)
hat es eben an Kolibris bemerkt: Diese Vögel erschlossen vor etwa 72
Mio. Jahren eine ganz neue Nische – Nektar –, indem sie einen Rezeptor
entwickelten, den alle anderen Vögel stillgestellt hatten, den für
Süßes. Dazu reaktivierten sie nicht etwa die Pseudogene, sie bauten
stattdessen die Umami-Detektoren um (Science, 345, S.929).
Bleibt
das Rätsel, warum manche Individuen stark auf Bitteres reagieren und
andere kaum. Es mag am Bitteren selbst liegen: Zum einen empfiehlt es
sich sehr, seine Warnung zu spüren, wir haben 24 verschiedene
Bitter-Rezeptoren, Gifte kommen in vielen Strukturen; zum anderen würde
Hunger leiden, wer sich zu sehr abschrecken lässt, fast alle Pflanzen
schmecken bitter. Zum dritten sind nicht nur Pillen bitter, es gilt auch
umgekehrt: Gifte in manchen Pflanzen wirken so gut gegen Krebs, dass
die US-Onkologen empfehlen: „Munch on raw broccoli!“ Diese
Uneindeutigkeit des Bitteren mag die Entscheidung darüber schwer machen,
ob man den Sinn dafür lieber verfeinert oder nicht.